RUMÄNIEN: Proteste gegen Waldraub

von Katharina Lindtner, Wien, 15.10.2021, Veröffentlicht in Archipel 307

Rumänien verfügt über den grössten Anteil an noch verbleibenden Urwäldern in Europa. Doch die Wälder sind zunehmend von ihrer Zerstörung bedroht, da internationale Unternehmen sie illegal abholzen. Doch es gibt Widerstand. So sehen sich die einheimischen Forstbauern und -bäuerinnen ihrer Lebensgrundlage beraubt. Die rumänische Bevölkerung wehrt sich gegen diese Gräueltaten vor allem in Form von Sichtbarmachung ihrer Probleme durch Protestaktionen.

Der politische Wald Wälder sind nicht nur Hotspots der Biodiversität und dienen als wichtiger Kohlenstoffspeicher, die Zerstörungen dieser haben auch enorme sozial- und politökologische Folgen. So werden viele Menschen durch grosse Holzfäller-Konzerne, oft in Zusammenarbeit mit der rumänischen Politik, bedroht, enteignet oder vertrieben. Die Forstwirtschaft spielt dabei in der rumänischen Politik und Wirtschaft eine besondere Rolle, da Holz in den ruralen Gebieten als die wichtigste und vor allem wertvollste Ressource gilt. Die dadurch entstehenden vielfältigen Interessen der Beteiligten knüpfen wiederum viel Macht und Kapital an die Forstwirtschaft. Hinter den Rodungen steckt ein grosses Netz an korrupten, mafiösen und klientelistischen Systemen, wobei hier vor allem die Verstrickung der lokalen beziehungsweise nationalen Politik mit der Forstwirtschaft und dem Waldraub zu betonen ist. So sind die Waldbesitzer·innen, die Betreiber·innen der Holzfällerunternehmen oder die Sägewerksbesitzer·innen oftmals (Lokal-)Politiker·innen oder direkte Vertraute, die sich ein breites Netzwerk aufgebaut haben und durch den illegalen Holzeinschlag grosse Summen an Geld und Macht sichern. Die rumänische Forstwirtschaft wird daher von Beobachter·inne·n als Schattenstaat bezeichnet, weil sich in den Konflikten rund um den Wald die Interessen der Politik widerspiegeln und sich die politischen Gegebenheiten beziehungsweise Probleme in den Wald einschreiben (Vasile 2019: 155 f.).

Rumäniens Wälder werden somit zum politischen Wald, da sie ein polit-ökologischer Schauplatz von Regierungen und konflikthaften Regime sind, indem bestehende Machtverhältnisse und -kämpfe auf politischer und sozialer Ebene in die Natur übertragen und demnach Kräfteverhältnisse und Streitigkeiten in den Wald projiziert werden (Vandergeest und Peluso 2015:173). Zentral dabei ist, wer Zugang zu Land und Ressourcen hat, wer sich derer bemächtigt und wer dies mit kriminellen Mitteln durchsetzen kann.

Wachsender Widerstand Die betroffene Lokalbevölkerung lässt die Ungerechtigkeiten jedoch nicht tatenlos über sich ergehen und bringt zunehmend ihre Unzufriedenheit mittels Protestaktionen zum Ausdruck. Dabei fallen vor allem Protestaktionen von verschiedensten NGOs ins Auge, die grösstenteils mit Bannern auf die Problematik aufmerksam machen und zur Dokumentation der Kahlschläge beitragen, wobei hier die kleinen Bewegungen auf lokaler Ebene auch zu grossen nationalen Protesten führen können. Das Ziel ist, neben der Bewusstseinsbildung in Rumänien, vor allem auf transnationaler und internationaler Ebene auf die Problematik aufmerksam zu machen. Gerade den postsozialistischen Gesellschaften im (süd-)östlichen Europa wird eine Politikverdrossenheit, ein politisches Desinteresse und geringe politische Partizipation zugesprochen. Oft wirkt es in der Region so, als seien vor allem internationale Organisationen wie „Greenpeace“ tätig, die ohne dem Miteinbeziehen der lokalen Bevölkerung den illegalen Holzraub bekämpfen wollen. Doch das ist nur bedingt auf das rumänische Beispiel umzulegen. Hier sind es oftmals kleine Graswurzel-Bewegungen, die in Zusammenarbeit mit Umwelt-NGOs wie „Robin Wood“ oder „Euronatur“, Betroffene bestärken, aktiv zu werden. Diese Strategie hat sich als erprobt erwiesen, um über die individuelle Betroffenheit auf nationaler Ebene ein Problembewusstsein zu schaffen.

Neben vielen kleinen Protesten kam es vor allem 2017 zu grossen landesweiten Protesten, als die damals neu gewählte PSD-Regierung ein Gesetz erlassen wollte, das Korruption und Amtsmissbrauch bis zu einem gewissen Grad legalisiert hätte. Durch dieses Vorhaben gründete sich eine grosse Gegenbewegung, die in Bukarest gegen Korruption und Vetternwirtschaft und für eine aktivere Zivilgesellschaft und eine partizipative Demokratie protestierte. Die Forderungen betrafen, neben den demokratiepolitischen Anliegen, aber auch den illegalen Holzeinschlag, da der Schutz der Wälder nur mit einem funktionierenden Rechtssystem möglich ist und die Entwicklungen in den rumänischen Wäldern, wie bereits erwähnt, stark von korrupten Ausprägungen gekennzeichnet sind.

Klimagerechtigkeit Die Proteste gegen illegalen Holzraub lassen sich, angelehnt an Irina Velicu, als Environmental-justice-Bewegungen, also als Klimagerechtigkeitsbewegung, einstufen. In ihrer Forschung zu Protesten gegen ein umstrittenes Goldabbau-Projekt (Roșia Montană) stellte sie fest, dass vor allem kleine Bottom-up-Bewegungen auf lokaler Ebene den Protesten in den Städten vorausgehen und diese bedingen. Ausgehend von einer Umweltdegradation und einem darauffolgenden Protest auf lokaler Ebene entsteht demnach oftmals ein grosser Protest, der folglich auch mehr politische Kritik beinhaltet. Somit werden nicht mehr nur die Umweltprobleme thematisiert, sondern auch die denen zugrundeliegenden Ungerechtigkeiten, was zu einer gänzlichen Systemkritik führen kann (Kaika/Velicu 2014: 309).

Bei Klimagerechtigkeitsbewegungen geht es also nicht ausschliesslich um Umweltdegradation, sondern viel mehr auch um soziale Ungerechtigkeiten und Ausgrenzungen, da Umweltzerstörungen zumeist erst durch soziale Benachteiligungen auftreten können. So wird in den Demonstrationen und Protestaktionen sehr oft Kritik am kapitalistischen, neoliberalen politischen System geäussert und diese mit der Umweltdegradation – dem illegalen Holzeinschlag – in Verbindung gebracht. Zusätzlich zeigt sich dabei eine weitere Problematik bezüglich der Art der Kommunikation der Machthabenden mit der ländlichen Bevölkerung. Letztere werden oftmals als dumm, naiv und uninformiert dargestellt und von Seiten der Politik unsichtbar beziehungsweise stumm gemacht. Die Lokalbevölkerung wird dementsprechend nicht einmal missverstanden, sondern einfach gänzlich missachtet. Die Forderung nach einem Gehört- und Verstanden werden, werden auch in den Protesten zum illegalen Holzeinschlag deutlich. Die Betroffenen möchten dabei nicht nur auf die Umweltdegradation hinweisen, sondern auch die demokratiepolitischen Defizite und Marginalisierungen dahinter aufzeigen. In Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Umweltorganisationen kann so ein wichtiger Beitrag zum Schutz der europäischen Wälder in Rumänien geleistet werden.

Katharina Lindtner, Universität Wien, Institut für Politikwissenschaften

Literaturverzeichnis Kaika, M.; Velicu, I. (2014): „Undoing environmental justice: Re-imagining equality in the Rosia Montana anti-mining movement“. In: Geoforum 84 (2017) 305–315 Vandergeest P./ Peluso N. L. (2015): „Political forests“. In: R L Bryant (ed) The International Handbook of Political Ecology (pp 162–175). Northampton: Edward Elgar Vasile, Monica (2019): „Fiefdom forests: Authoritarianism, labor vulnerability and the limits of resistance in the Carpathian Mountains“. In: Geoforum 106 (2019) 155–166, https://doi.org/10.1016/j.geoforum.2019.08.001 Velicu, Irina (2020): „Prospective environmental injustice: insights from anti-mining struggles in Romania and Bulgaria, In: Environmental Politics, 29:3, 414-434, DOI: 10.1080/09644016.2019.1611178