SCHWEIZ: Unlauterer Wettbewerb

von Hannes Reiser, EBF, 10.11.2023, Veröffentlicht in Archipel 330

Kommentar zu den Wahlen in der Schweiz vom 22.10.2023

Ende letzten Jahres publizierte die „Gesellschaft für Sozialforschung“ in Bern, die gfs, das jährliche Sorgenbarometer der Schweizer·innen. Die gfs wird von allen politischen Kräften als relativ objektives Institut respektiert. An erster Stelle der Sorgen in der Schweiz steht der Klimawandel und die Angst vor Umweltkatastrophen mit 39 Prozent. An zweiter Stelle steht die Sorge um eine gesicherte Altersversorgung mit 37 Prozent der Nennungen. An fünfter Stelle steht die Sorge um die schwindende Kaufkraft. Erst an neunter Stelle wird die Zuwanderung als Problem gesehen mit nur 19 Prozent der Nennungen und auf dem abgeschlagenen 10. Sorgenplatz wird die Asylpolitik genannt, wohl, weil sie von den meisten als lösbare, wenig beängstigende Aufgabe betrachtet wird.

Zehn Monate später bestellten die Schweizer·innen ihre beiden nationalen Parlamente neu. Diese bestehen aus dem nach Proporz gewählten Nationalrat mit 200 Sitzen und dem kleineren Ständerat, eine Art Senat der Kantone. Die Grünen verlieren fünf Sitze, die Grünliberalen sogar 6 die rechtskonservative Partei SVP gewinnt hingegen neun. Die sozial stark positionierte SP kann immerhin zwei Sitze gutmachen. Die SVP, deren Wahlprogramm sich nur marginal von jenem der deutschen AfD unterscheidet und dieser als Vorbild dient kann nun 27,9 Prozent, also fast ein Drittel der Stimmen, in der Schweiz für sich verbuchen. Der linke Block verliert insgesamt an Wahlanteilen.

Nationale Wahlen sind in der Schweiz wichtig, aber nichts Absolutes. Die Regierung wird seit 64 Jahren in einer permanenten Koalition aus den vier grössten Parteien gebildet. Diese Zusammensetzung wird sich nicht verändern. Ausserdem besteht zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, mit einem Referendum einen Regierungsbeschluss zu Fall zu bringen.

Nationale Wahlen sind Politmarketing. Die einzige Partei in der Schweiz, welche seit 25 Jahren eine zentral gesteuerte und mit Millionen aus undurchsichtigen Quellen gefütterte Marketing-Maschinerie unterhält, ist die SVP. Diese Partei hat alle rechtsextremen Gruppierungen der Schweiz aufgesogen und bedient deren Narrative. Sie bewirtschaftet die Angst und führte mit rassistischen Kampagnen einen ausgrenzenden Wahlkampf, in dem sie nicht davor zurückschreckte, auch Nazi-Parolen zu verwenden („Schweizer erwachet“).

Ein zentrales Motiv der SVP war ein Bild in ihrer Gratiszeitung „Welche Schweiz wollen wir“, die an Millionen von Haushalten verschickt wurde. Links sehen wir die Abbildung einer Gruppe von zahlreichen dunkelhäutigen als Migrant⸱innen erkennbaren Menschen auf engem Raum zusammengedrängt und rot durchgestrichen. Rechts das Bild einer „weissen“ Schweizer Modell-Familie beim Wandern in der grünen Natur „Diese Schweiz wollen wir!“ rassistischer geht es nicht mehr. Stimmen, die mit dieser Form von Hetze gemacht werden, sind zwar rechtlich gültig, aber nicht respektabel. Sie sagen mehr aus über die Unverfrorenheit des Marktleaders im rücksichtslosen Bewirtschaften bestehender Unsicherheiten. Sie sagen nichts aus über die menschlichen, sozialen und Umwelt spezifischen Aufgaben, die wir angehen wollen und müssen. Die Verlierer⸱innen dieser Wahl müssen wohl ein paar Hausaufgaben nachholen.

Wir gehen wieder zurück zu unserer Arbeit an der Basis und lassen uns nicht beeindrucken.

Hannes Reiser, Basel, EBF